Jan Krmelj (1995), Theaterregisseur, Szenograph, Performer und Schriftsteller. Lebt in Ljubljana, Slowenien. Gründer von DivineMimesis. Er verfasst Essays, Dicht- und Schauspielfragmente, übersetzt aus dem Französischen (Mallarmé), dem Italienischen (Pasolini, Agamben) und Deutschen (Celan). Er war Assistent der Regisseure Tomaž Pandur (Faust), Jernej Lorenc (Heilige Schrift, Erster Versuch), Vito Taufer (Butnskala) und Aleksandar Popovski (Merlin oder das öde Land).
DER MUND
I
Minimalismus des Glaubens: die Wolken,
welche im Fleische selbst gegen die Wände,
wie bleiches Gewinsel der Hunde
durchdringend, sich stürzen!
Die kommunizierende Weite. Der Raum, der ganze
Hórizont. Die Vertikale enthüllt:
Den Unterschied macht die Ausnahme, den Menschen
der Umstand, nicht da zu sein, aus.
Dass es den Fehler gibt: ein schwarzes Loch,
die Disfunktion ohne Ende, den Fehler,
das, was in ihm der Domäne
sich aller Maschinen entzieht!
Nicht einmal eine Spur. Nicht einmal ein Gerät.
Kein Mund. Die Zunge als
ein Schlachtfeld unversöhnlicher
Gesuche. Und ein schmaler Spalt in ihnen.
Vertikale! Form, gestaltlos,
unerträglich mehr als Strich. Der Aufschrei
dieser Kugel, dass von ihr heraus
alles nach außen sprießt …
II
Resonator, Kreis, die unerträgliche
Mundöffnung im Gesicht –
weit aufgemacht – in einer Folge
reiner Intensivität, spontaner
Kompositionen, die mich töten!
Stämme, Linien, durchsichtige Frequenzen,
alles unerbittlich weg
vom Kern gerichtet.
Auch ein jeder Vorentwurf ist Durchbruch …
Auch ein jedes Wort ist Krieg …
III
Jener Unterschied, der die Realität
von ihrer eigenen Erfahrung trennt –
die Freiheit ist die Leere, die man,
die man dringend halten muss …
Doch vor der Bühnenmaske seine Arme
kreuzen, vor der ganzen Bühne wie vor einer Maske,
sie zu kreuzen vor dem Körper, der
seinen unsteten Blick gegen mich richtet …
Aber dieser Blick ist schon mein Blick,
wenn sich die Maske mich aufsetzt.
DER MUND
Versteckte Fleisches-Fluchten
in das Antlitz –
das Antlitz des Menschen
ist ein Ort, ist eine leere Landschaft,
die noch nicht
ihr eigenes Gesicht gefunden hat.
Derartige Anwesenheit –
die Stille – und die Widerklänge,
alle noch unausgesprochen, Politik
des Widerhalls – der Mund,
der nur durch Warnbisse
spricht, nie
zu, nie ohne –
einen Tropfen Blut.
Aus diesem Munde höhle ich die Flächen aus –
Auf dass die Buchstaben durch sie
ins Eingeweide überfließen mögen –
und damit das Blatt, mit Blut beschrieben,
den Organvertrag ausfüllen möge –
nicht aus dem Bewusstsein ausgerissen
als Gesang –
auf dass man die Realität
im Leib evakuieren möge
durch den Mund!
Und nicht das Eingeweide, welches
durch den Mund
evakuiert wird in den Melodien und den Worten –
nicht der Mechanismus,
Bodenfluss in and’re Richtung:
die Realität von diesem Bauen zu befreien –
dort einsteigen, wo die Ketten
an dem Leibe bauen –
Auch in der Welt lebe ich nicht
durch den Mund dieser Welt.
Ich lebe durch den Mund.
Ein Bündel Erdöl durch den Mund.
Die Linien der Blitze, die sich
in den nassen Leib präziße
hinein bohren:
jemand, der da schläft, verpasst
die Wirklichkeit, mit ungeschloss’nem
Mund, ein Schlag nach innen,
Leiter der Abwesenheit,
die ganze Welt
bestand nur noch aus einem Mund,
nur noch einfache
Paralyse, Schrei
oder Gelächter.
ZUFLUCHTEN
.
Furcht, Bewegung
der Aushöhlungen, irrationale
Blockade des Bekannten, die vergisst,
dass das Bekannte die Welt ist, berührt von einem
Namen. Die gesamte Bodenfläche, aus den Zellen aufgebaut,
der Sinn, aufs Echo reduziert.
.
Das Kind, entsprossen
Deiner Stirn – in einen Schoß –
ins Gutachten der Augen – um sich in das Wasser zu ergießen –
seine Stimme – ihre – die den Lauf der Flüsse ändert –
auch wenn niemand da ist, um die Breite
eines Flusses zu betrachten – auch wenn meine Arme brechen,
um sie zu erreichen –
.
Noch immer stehend – wenn ich den offenen Schädel stütze –
damit er nicht schrumpft – damit er nach und nach zuwächst – damit Empfindungen
sich zu dem Klang verdichten, der bestehen bleibt – »irgendwo gibt es einen sicheren Ort« – und das Opfer,
das von deinem Körper eingenommen wird – sich Worten hinzugeben,
lauter fremden – »es kann nichts Fremdes in mir geben« – und zarte Enden meiner Finger
ergießen sich in Milch – Gewebe und Fasern, verknüpft,
ins Feld vergraben, um einst
bald von neuem aufzugehen.
.
Ein Kreis rund um den See – erfüllt von Menschenleibern – die ich
kenne – nicht kenne – in Angst vor Gegenüberstellung
mit Bekanntem – was meine Verhältnisse zu Stürmen
vielfach übertrifft – mit der Reglosigkeit einer Verknüpfung in den Augen –
Stiel und Sonne – Sonnenpaar unter der Haut meiner Handflächen –
Kreis der Sitzenden, Verlangsamten zur Aufdeckung von Gesten – Zeit,
dem Verständnis von Auswirkungen gewidmet – Geburtssonderrecht,
das das Bewusstsein möglich macht, was man mit der Bewegung verursacht –
verletzt, verspricht – einem zufällig Ausgewählten unter Körpern –
den rund ums Feuer sitzenden – und es ist nicht der See,
der brennt.
.
Das Herbeirufen des Abwesenden – wie Schnee, vergessen in der Kindheit –
jetzt umgeschmolzen – Karusselle drehend – und der Rost –
und Bruch, versteckt in Schichten roter Farbe – auf Metall –
es liegt an uns – und Gleichungen beschränken sich auf eine Einbahnstraße –
und die ausgeschiedenen Impulse, in ein Spektrum eingefangen – Wind,
der auch nicht einen Augenblick beschränkt.
.
Wenn man alles weg schieben muss – und die Ausweisung in den Jagdgrund –
die einzige Stütze ist – Gewalt, verborgen in Familienform – Gruppenfoto vor dem Aufbruch auf die Jagd – da starrt kein Augenpaar
von mir ins Auge – schon ganz abgewandt in das Gekrache,
Schritte über trockenes Gestrüpp – bedächtige Bewegungen – Kraftstufenwechsel –
und der Hunger, der die Kugelwunde aushöhlt – die gleichförmigen Bewegungen –
enteignet in der Suche nach der Zuflucht – und die Spur verrät mich –
und es schweigt der Specht.
.
Erfahrung eines Hundes – mein Leib, durchgeschossen in der Gasse,
eingegrenzt aufs Wesen der Geburt-Dreizahl – essen, trinken,
einbringen, vielleicht befruchten – und das Spektrum des Gehirns, offen
für die Raumstrukturen der gesamten Stadt – Verhältnisse
zwischen den Körpern spüren – den Rückzug der Dimension, die die Bewegung
durch den Stillstand trennt – niemand achtet
auf die Einsicht der Fiktivität der Raumeinheiten – leere Felder
gibt es nicht – wer sich bewegt, der flieht.
.
(Sie bewegen sich. Ich steige auf die Gasse, sie bewegen sich,
es hält nichts an, alle meine Gedanken und Erinnerungen,
augenblicklich transformiert ins Wasser. Auf den Knien rennt es los.
Ein ganzes Spektrum von Menschen als Farben, die abwechselnd rollen. Der Hunger der Vögel, die Löcher der Projektile,
das Körpergerüst, aus Draht gebaut, wie
sollte ich nicht ruhen? Niemand hält an,
niemand kommt dem durchsichtigen Wachzustand nach.)
.
Ich kann die Stille nicht ertragen – die ein Schrei auslöst –
die Gegenüberstellung der Latenz des Feuers – in jedwedem Handpaar –
ich habe die Drähte zur Abweichung überzeugt – Handflächen zum Bluten gekrümmt –
Austausch durch Glas, das sticht – das Echo
kehrt nicht wieder. Hält nicht stand –
Empfindung –
Strom.
.
Die Einzigartigkeit eines Verhältnisses entwerten
durch das Sprechen – durch die Tötung
des zwischen den Bäumen sich sammelnden Wildes – genaue
Seile zwischen abgerupfter Rinde und geliebtem
Punkt, direkt unter dem Mittelpunkt, direkt im Mittelpunkt,
in der Zweizahl, die mich nachts verbindet –
wie ein Brennen und der Raum zwischen den beiden Drähten –
ein ausreichend starker Wunsch – die Körper bis ans Feuer
zu bewegen – und die Ahnung des kompletten Kreises,
mit der Zunge eingezeichnet – in den Boden –
.
Es ist keiner da, der auf die Pflanzen blicken würde – und der Augenblick
ist in ein Feld poliert – scheint wie die Erde wider –
Sträucher, Sträucher in der Zellensonne – alle meine Schritte
durch die Zimmer – rühren nicht ein Blatt – sag nicht –
sag nicht dass ich zu viel Wasser ausfließen lasse – sag nicht
dass das Wasser dich aufbaut – lass nicht zu dass sie austrocknen –
sag gar nichts –
.
Bis zur Verrenkung Arme über sein Leben erheben – hängen bleiben
in fluider Aufsicht – zwischen der Brutalität der Grenzen und der Tötungen –
im Wasser – mit dem Blick – der Leib, gezeugt
aus Händen – aus Kontakt der Lederhäute ausgewachs’nes Kind – die Quantität des Territoriums
und transmutierte Blütenköpfe – anstatt des Einstichs drei –
mit den Umständen gurren, die das Stroh vom Wagen bewegen – und in der Luft –
nach Halmen in einem Haufen von Stecknadeln suchen – Beine verstricken sich in Knieabhänge,
gefärbt, verletzt, allein.
.
Der Gedanke nichts kann verschwinden – nichts was ich gespürt habe –
keine verlorene Erfahrung in der Übertragung zwischen den Zeiten –
keine Stufe meines Körpers ist durch das Wachstum der Ausweisung untergeben –
die höchsten Decken wie Moos für das Auge – Entspannung
aller Meere, die die Gegenwart hält.
.
Die unbewusst empfangene – Ausweisungspflicht – als Fokus der Handfläche,
sich auswirkend im zu Linien zusammenfließenden – Erguss als Anerkennung –
die Umarmung als ein Biss – ein Luftschutzkeller beider Körper vor dem Grün –
eine brennende Pendel – zwischen Häuten keine Pfeile, die die Wasserfälle
eines Unterschiedes reißen würden – Widmung in die Nacht – Mysterium der Aussaat
und Erlösungsruf, sobald das Wecken in Verrücktheit umschlägt –
.
Der Schmerz des Mosaiks – dem Himmel einverleibt –
es wird nichts geben – mehr – all die Erfahrungen, die aufbewahrt sind
im Gewebe, bleiben zu Fragmenten eingerollt, zu denen jemand
Zugang hat – die eine Rückkehr jedes Mal auslöst – Rückkehr als Saite,
Zittern im Schwarm – plötzliche Durchstöße der Vorhänge,
die den Schall ins Staunen wandeln – du brauchst nichts zu
fürchten, Kind – es wird nichts geben – nichts kehrt wieder –
kein fremdes Gedächtnis.
.
Ich weiß nicht, wen ich durch Musik geleugnet habe – Handflächen genau geschärft
auf die Befehlsverschiebungen – an allen Punkten ziehen, in die sich
der Blick verankert – sie wie Zügel durch die Luft mit einer Handfläche im Anhalten zusammenheften – und der Mund folgt dem Zerfall – wenn aus dem Mund
zum Mund die Meere münden – von Kindern – Kinder, die die Welt beruhen –
das genaue Mitteilen von Gesten – und Verbindungen – von Prophezeiungen –
.
Unter der Last des fremden Bewusstseins – fremden Gedächtnisses,
das in mich einzieht – solang die Hände vereint bleiben,
mit dem Meer verknüpft – noch die Gewalt, mit der das Leben
in einem Aufbruch tobt, wendet es sich – zum Singen –
und ich schaue zu, wie es sich häutet – alle Gesten, die vor mir verlassen sind –
die Spur als Einblick in das Drehen – und die Züge im Geäder –
.
Die plötzliche Wärme, die die Handflächen – als Rückkehr – leben,
in der sie durchs Tasten die Leibform bestimmen –
jemand wird zurückkehren – jemand in der Vereinigung,
jemand wird die geleerte Erde füllen, in der
die Pilzunterlage modert – jemand wird verbinden
diese Angst vor dem Einleben in sich selbst – sie mit dem Spiel
verbinden, das Einsamkeiten ins Lachen verwandelt.
.
Mit nichts tausche ich deine Stille –
mit niemandem teile ich die Verstecke, wo du bleibst –
unter Gebüschen, eingegraben beobachte ich das Rasen –
die Stadtwiesen, ausgebreitet in die Formen –
versteckt in der Gebärmutter der Blüten – versteckt in der Wärme –
ich hüte dich und häute mich.
.
Wenn du besiegt wirst – von der Unempfänglichkeit fürs Singen –
Unempfänglichkeit fürs Staunen – zu viele Informationen in der Zuchtanlage der Stimmbänder –
stütze dich mit meinen Bröseln – meinen Leichnamen, die ich enteigne –
eine abgehackte Handfläche, sich für die Sicherheit aufopfernd – deine –
wenn die Zuflucht sich verirrt – wenn du bewegt wirst –
wenn du dich verirrst – in einer Stadt, die dich beweint –
wenn du dich verirrst –





