28. 2. 2019

Aljaž Koprivnikar

Dichter

Aljaž Koprivnikar (1987), Dichter und Literaturkritiker. Seine Poesie wurde sowohl in slowenischen als auch internationalen Literaturzeitschriften und Antologien veröffentlicht und ins Englische, Tschechische, Griechische, Kroatische, Deutsche und Serbische übersetzt. Derzeit lebt er zwischen mehreren Städten – Ljubljana, Berlin, Prag und Lissabon – gespannt. In die erste kehrt er wieder, um das internationale Kritikersymposium Kritikkunst mitzuorganisieren, in der zweiten bereitet er mit dem Slowenischen Kulturzentrum die Antologie der jungen slowenischen Literatur in deutscher Übersetzung vor, in der dritten leitet er als Programmdirektor das internationale Literaturfestival Microfestival, und in der letzten lehrt er slowenische Literatur an der Faculdade de Letras Lisboa.


Anatomie einer Seele

37.2 Trillionen Zellen
(davon 200 verschiedene Typen)
100 Billionen Haut- 127 Millionen Netz- 129 Millionen Stab- Manchmal haben wir eine Seele 6 Millionen Kegel-
                              Niemand allezeit
                        Für sich

100 Billionen Neurone im Gehirn
(die im Wachzustand genügend Strom erzeugen, eine Leuchte einzuschalten)
Rund 60.000 sinnvoll geordnete Gedanken/Tag, 1 Million Billionen Bites gesp. Information

Es gibt Begegnungsräume, leicht verputzt oder nur überklebt mit Flicken,
Teppichen anstatt von Wänden, Staub anstatt von Knörpel in Gelenken
und mit Wind unter den Türen.
Rühr Dich nicht.

60 Millionen sensorische Rezeptoren
1000 die Geruchssinn ermöglichen 96 Millionen, die Sehkraft ermöglichen
(die Nase nimmt 50000 versch. Gerüche wahr) (das Auge hat eine Auflösung von 576 Mpxl)

Im Hinblick auf die Ewigkeit ist es unwichtig, ob in dieser
Welt, nebeneinander mit diesem Körper (oder einem anderen), vom Augenblick an
Standpunkt: Die Leere wählen. Und warten.

DAS HERZ
115200 Herzschläge pro Tag
Wird im Lauf eines Lebens Wird wg. des eigenen elektrischen 1,5 Millionen Barrel Blut Pulses auch außerhalb unserer Körper
                              umgießen schlagen
Einmal ebnet sich die Zei, vielleicht,
nur in der Angst oder Unruhe aus der Kindheit,
manchmal in der Altersüberraschung.

6 Liter Blut
(Darin gibt es genug Eisen, um einen 7,6 Zentimeter langen Nagel herzustellen)
42 Billionen Butgefäße 30 Trillionen rote Blutkörperchen

Emotionen gibt’s in diesem Körper, die keine Vergangenheit bereuen.
Ein Organismus absorbiert den anderen.
Durch die zerrissene, zerschnittene, zerkratzte Haut, die zyklische Einstiche immer wieder, immer wieder
zulässt.

206 Knochen
(300 bei unserer Geburt)
640 Muskeln Die Makro-Welt fügt sich zur Mikro-Welt. 360 Gelenke
In der Entfernung anderer Städte ungefähr.
Falten, wo sich einmal eine Ebene befand.
Zuwendung an sich selbt im Interesse eigener Erlösung.
Kreation von Körpern aus Wörtern.
Aus nichts:

23, 040 Ausatmungen am Tag
(die gleiche Zahl Einatmungen)
100 verlorene Haarsträhnen pro Tag 800 ml vergossenen Schweißes pro Tag
Tausende von Wörtern: Verwickeln der Wörter durch den Körper, Auspeitschen des Körpers,
Ungeschicklichkeitskonturen. Raum.
Unabgestimmtheit … und Anstieg von lärmigen Bildnissen. Lösen.
Reich die Hand.
Für tausend Gespräche,
wenn das, lieber Stille.

(Jeden Tag erzeugt das Herz genügend Energie für eine 32 km lange Fahrt eines Lastwagens)
(In einem durchschnittlich langen Leben füllt man zwei Schwimmbecken mit dem Speichel – 23, 000 Liter)
(Unsere unverkettete DNA mit allen Zellen reicht für den Abstand von der Erde bis Pluto und zurück)
(Unsere Finger können Gegenstände erfühlen, die weniger als 13 Nanometer betragen)
(Unsere Lippen sind 100 mal empfindlicher als Fingerspitzen)

Wir brauchen
Offensichtlich dennoch
Dennoch offensichtlich
braucht es uns
auch aus einem Grund.

(100,000 chemische Reaktionen finden in unserem Gehirn jede Sekunde statt)
(Unsere Knochen sind 5 mal stärker als Stahl)
(Durchschnittlich sprechen wir ungefähr 4800 Wörter täglich aus)
(Im Schnitt widmen wir im Leben 2 Wochen dem Küssen)
(Nervenimpulse reisen durch unseren Körper mit rund 90 m/s)

Sie laufen zwischen Lichtern
und wir verschwinden durch die Tür.
In einem Haufen trockenen Laubes decken wir uns mit Zweigen zu
und warten (un)ruhig
dass die Zeit kommt.

(Unsere durchschnittliche Lebensdauer beträgt 2,475,576,000 Sekunden. In dieser Zeit sprechen wir durchschnittlich rund 123.205.750 Wörter aus, lieben uns 4.239 mal und lediglich etwas mehr als 70,000 Zellen unseres Körpers sterben beim Lesen des allerletzten Verses.)

Unvollendete Dinge werden zu Ruinen

Jeder Schritt
                        außerhalb des Zimmers
      stellt dich um
man wird Platz machen müssen
                              speichern
    Leben
                        Photographien
                  Bücher
….
wenn die Knochen der Wörter
                              zerbrechen
zu einem immer größeren Akkord
wenn wir zwei
                        das Herz trockensaugen
                        &nbsp     oder vielleicht
im Schlupfwinkel
                        unseren
Adern
folgen
lockern wir
                  den Druck
der Wand

Hier. Unter diesem Laub. Verlieren wir das Blut. Verlieren wir die Wärme.
Wie die Katze ihre Jungen packst Du mich und trägst mich da-von, schlafen.

(Dem) Winter

der Tag ist still zerbrechlich wie Eierschalen
und die Bäume draußen zerbrechlich
wenn sich das Licht bricht

langsam
um die symmetrischen Ecken
des Endes der Welt

die Blätter fallen und die Kronen
lassen ihre Finger bis
zum Boden hängen alles ist weiß

vom Morgentau
und der Morgen
setzt sich fort

den ganzen Tag
dauert er an
bis nach Mitternacht

und gar bis
zum letzten Baume
dem Dach und den Lichtern in den Fenstern

jemand beobachtet (dort) einen Schneesturm
und das Fliegen zierlicher Schneeflocken, die ihre Zacken
dem Winde zuneigen

jemand (von dort) beobachtet wie das Wasser des Regens
dem Schnee wie eine Witwe hinterhertrauert
und zählt die Sterne im Wald des Abends

und seine Gedanken und Sekunden
sind weiß von Momenten
zerbrechlicher Momente

wenn jemand für ihn atmet

Wir sprechen aneinander vorbei und wiederholen

alles auf einer bestimmten Frequenz
alles geht im Kompromiss aus

schon seit Jahren leben wir
                                                                  zwischen diesen gruseligen Türen und der Zärtlichkeit
                                 in den Abendstunden mit dem Feuer unserer Gedanken
                                                                                        die sich wünschen
                                            anderswo zu sein (überall)
                                                                                        und stets ein anderer (mit einem anderen)

wir gehen von der Stille aus
                                                                  mit der wir uns selbst ausgebaut haben

                                 im Bett
                                                                  im Bad
                                                                                        in der Küche

und immer lautloser bleibt die Kopulation
in der wir uns immer zerkratzt und zurückgezogen haben
in alles was ein wenig zurück ge-/stehen muss

in die Stille
in die Spalte unserer Haut
in den Eintrag des heutigen Datums

damit wir uns dann morgens aus noch heißem Kaffee
wieder gegenseitig
Blicke zuwerfen können
und an feste Gegenseitigkeit glauben

und die Müdigkeit und Falten des Verdrusses
am Parkett unserer Wohnung die zu brennen aufgehört hat nicht bemerken

unter Flecken und Partikeln verstreut
die wir beharrlich mit Ikea-Tüchern wischen

dann hängt die Zeit noch immer
jetzt hängt die Zeit noch immer
auf unseren Lippen
und wir fragen uns wie die
                                                                                                   gemeinsamen Frühstücke
zu erhalten sind und das Betrachten von Bomben im Fernsehen wie sie auf offene Häute Aleppos in unseren Wohnzimmern fallen und uns nichts mehr überrascht weder die entfernte Zukunft noch die nahende Vergangenheit
wir sind Menschen und es ist menschlich nicht wegzusehen

SKICA DE
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